Portrait Katherine Mansfield
(1888 - 1923)
 
»Ich lebe, um zu schreiben.«
   
Zitiermöglichkeiten für den nachfolgenden Text:
N. Kohlhagen, "Sie schreiben wie ein Mann, Madame!", Allitera Verlag 2001, S. 128-135, oder:
N. Kohlhagen, "Sie schreiben wie ein Mann, Madame!", Sammlung Luchterhand 1993, S. 131-138, oder:
N. Kohlhagen, "Sie schreiben wie ein Mann, Madame!", Fischer Taschenbuch Frankfurt/M. 1983, S. 129-138.

 

Ein Schulmädchen, eifrig, pummelig, mit neugierigen Augen hinter den runden Brillengläsern, liest den Klassenkameradinnen in der Nähstunde Texte von Charles Dickens vor - und liest mit so viel Gefühl, daß die Mädchen anfangen zu weinen. Das ist Kathleen Beauchamp, Tochter des neuseeländischen Geschäftsmannes und Bankiers Harold Beauchamp. Er gilt als einer der reichsten Männer New Zealands. Seinen Kindern - Kathleen ist die dritte Tochter - läßt er die bestmögliche Schulbildung zukommen. Sie besuchen das Städtische Mädchengymnasium in Wellington, anschließend eine vornehme Privatschule, und in ein paar Jahren sollen sie nach London auf das Queen's College geschickt werden. London... Wenn Kathleens Vater geahnt hätte, was er mit diesem Entschluß in seiner Tochter bewirkt, hätte er sich bestimmt anders entschieden. Macht er sich doch jetzt schon Sorgen um Kass, wie seine Drittälteste genannt wird. Sie ist ein schwieriges Kind, rebelliert gegen ihre Eltern, ist auch den Lehrern gegenüber aufsässig. Überdies hat sie »eine Phantasie, die an Unwahrheit grenzt«. So jedenfalls wird sie in der Schule beurteilt.

»Meine literarische Laufbahn begann mit dem Schreiben von Kurzgeschichten in Neuseeland. Ich war neun Jahre alt, als mein erster Versuch veröffentlicht wurde. Seit der Zeit schreibe ich ständig Notizbücher voll.« Als Kathleen in einer kurzen »Autobiographie« diese Sätze über sich selbst schreibt, ist sie schon längst eine anerkannte Schriftstellerin, eine aparte junge Frau, die äußerlich mit dem Pummelchen Kass nichts mehr zu tun hat. Sie hat sich den Künstlernamen Katherine Mansfield zugelegt und wird von ihren Anhängern als »genial« gefeiert.

Ihren Vater allerdings scheint das nie beeindruckt zu haben. »Ich warf das Ding hinter den Kamin, es war nicht einmal geistreich«, äußert er sich über eine der besten Erzählungen (»Je ne parle pas fran~ais«) seiner berühmten Tochter... Doch bleiben wir vorerst noch bei Kass, ehe sie berühmt wird. Zwei Menschen in ihrer Familie stehen dem Mädchen besonders nah: die Großmutter, deren Geburtsnamen sie später als Künstlernamen annimmt, und der jüngere Bruder Leshe. Als sie zwölf Jahre alt ist, lernt sie ein »Wunderkind« kennen, den fünfzehnjährigen Arnold, der Cello spielt. Kass ist hingerissen. Arnold wird ihr »Märchenprinz«. Mehr noch: Auch sie beginnt nun, Cello zu üben. Insgeheim ist sie davon überzeugt, daß sie eine große Musikerin werden könnte. Dabei vernachlässigt sie in den kommenden Jahren das Schreiben nicht. Sie experimentiert, korrigiert, macht Skizzen - und schickt glühende Liebesbriefe an Arnold, dem sie den Namen »Cäsar« gibt. Kass tauft alle Leute um, die ihr nahestehen.

lda Baker zum Beispiel, eine Freundin, mit der sie bis an ihr Lebensende verbunden bleibt, heißt bei ihr »Leshe Moore« oder kurz »L.M.«.

Auch Ida will Künstlerin werden. Die beiden Mädchen haben sich im Queen's College in London kennengelernt, das Kass von 1903 bis 1906 besucht. In jenen Jahren gibt sie sich den Künstlernamen Katherine Mansfield. Ihr großes Vorbild ist jetzt Oscar Wilde. Seine Aphorismen nehmen einen großen Platz im Tagebuch der Siebzehnjährigen ein:

»Treibe alles so weit es geht.«

»Wir sind nicht auf die Welt gekommen, um unsere moralischen Vorurteile zur Schau zu tragen.«

»Die einzige Art, eine Versuchung loszuwerden, ist, ihr nachzugeben.«

Katherine, jung und erlebnishungrig, notiert im Anschluß daran ihre eigene Vorstellung vom Leben: »Oh, ich will die Dinge auf die Spitze treiben!«

Das entspricht nicht gerade den Erziehungsprinzipien ihres strengen Vaters: höchste Zeit, daß die aufsässige Tochter zurück ins heimatliche Neuseeland geholt wird, wieder in die Obhut einer soliden Familie gebracht wird. Also finden wir Katherine im Herbst 1906 in Begleitung ihrer Eltern auf der S.S. Corinthic, unterwegs nach Wellington, Neuseeland. Das junge Mädchen ist mürrisch, widerspenstig, gereizt. Ihre Eltern, so schildert sie das in ihrem Tagebuch, sind dabei, »ihr die Zukunft zu rauben«. Während sie mit einem jungen Mann an Deck flirtet (»Ich möchte ihn aus der Fassung bringen, seltsame Tiefen in ihm erregen!«), beobachtet und beschreibt die zukünftige Schriftstellerin ihre Eltern:

»Sie sind noch schlimmer, als ich erwartet harte. Sie sind neugierig und spähen herum, sie passen auf, und sprechen tun sie nur vom Essen. Sie streiten sich auf hoffnungslos vulgäre Weise. Mein Vater sprach von meiner Rückkehr (nach London) als von einem verdammten Unsinn, sagte, er wolle nicht, daß ich mich im Dunkeln mit Burschen herumtreibe. Seine mit langen sandfarbenen Haaren bedeckten Hände sind absolut grausame Hände. Ein Gefühl körperlichen Widerwillens ergreift mich. Er will, daß ich in seiner Nähe bleibe... Sie ist immer mißtrauisch, beständig auf anmaßende Weise tyrannisch... Beide sind so absolut unenthusiastisch. Sie sind mir ein beständiges Ärgernis. Ihr Anblick bewirkt eine gänzliche Veränderung in mir. Ich werde unsicher in meinem Benehmen - erscheine befangen... Es wird mir nie möglich sein, zu Hause zu leben. Das ist mir völlig klar. Es würde zu beständigen Reibereien führen. Mehr als eine Viertelstunde sind sie nicht zu ertragen, und geistig sind sie mir ganz und gar unterlegen. Was wird die Zukunft bringen?«

Zunächst: unruhige Jahre im ungeliebten Elternhaus. Sie stürzt sich in »Affären«, macht lesbische Erfahrungen, verlobt sich, entlobt sich, streitet sich ständig mit den Eltern (»Zum Teufel mit meiner Familie! Großer Gott, was für eine langweilige Gesellschaft!«) und schreibt, schreibt, schreibt. Immerhin werden erste Geschichten von ihr in einem Magazin veröffentlicht. Endlich, im Sommer 1908, erhält sie die elterliche Erlaubnis, nach London überzusiedeln. Ihr Vater bewilligt ihr eine Rente, keine große Summe, aber gerade ausreichend.

Was Katherine Mansfield, getreu ihrem Wahlspruch »Ich will die Dinge auf die Spitze treiben«, in den nächsten acht Jahren in England erlebt, könnte Romanbände füllen. Sie hat in dieser Zeit neunundzwanzig verschiedene Postadressen - die Reisen und Exkursionen, die sie unternimmt, nicht mitgezählt. Sie heiratet einen Gesangslehrer, den sie am Morgen nach der Hochzeitsnacht plötzlich verläßt. Sie ist schwanger von einem anderen Mann, verliert das Kind, lebt vorübergehend in einer Pension in Wörishofen, verliebt sich in London in den jungen Kritiker John Middleton Murry, den sie natürlich auch sofort umtauft: »Bogey« heißt er für sie. Gierig saugt sie alle Erfahrungen in sich auf.

Die einzige Person, die in dieser Zeit und in den späteren Jahren als beständiger, zuverlässiger Mensch in Katherine Mansfields Leben auftaucht, ist Ida, »L. M.«, die Freundin aus dem College. »Ich will dir dienen und deine Wege gehen, immer«, hat L.M. Katherine versprochen. Es wird sich noch zeigen, wie wichtig ein solches Versprechen für Katherine Mansfield ist... Mittlerweile harte die Schriftstellerin erste literarische Erfolge errungen. Sie veröffentlichte in Zeitschriften und gab einen Erzählband (»In einer deutschen Pension«) heraus: Skizzen und Geschichten, die oft wie Karikaturen wirken. Später hat sie dieses Buch als »unreif« abgetan - und sich während des Ersten Weltkriegs gegen eine Neuauflage gewehrt. Obwohl sie bei der damals herrschenden deutsch-feindlichen Stimmung damit »gut angekommen« wäre. Und obwohl sie das Geld dringend gebraucht hätte...

Noch sucht sie nach ihrem eigenen Stil: »Ich sehne mich von ganzem Herzen danach, aber die Worte wollen einfach nicht kommen.«

Februar 1915: Wieder stürzt Katherine Mansfield sich in eine »grande passion«. Sie reist mitten im Krieg zu einem französischen Offizier - einem Erlebnis, das später zum Stoff wird für ihre Erzählung »Eine unbesonnene Reise«.

Im selben Jahr kommt Katherines Bruder Leshe nach England, bevor er Ende September 1915 an die Front in Frankreich beordert wird. In langen Gesprächen mit ihm wird Katherine ihre Kindheit in Neuseeland wieder lebendig. Nein, es sind nicht ihre stürmischen Jungmädchenjahre, an die sie sich erinnert, es sind Bilder, Farben, Gerüche, Szenen aus der frühen Kindheit, die in ihr wieder auftauchen. In ihrem Tagebuch beschreibt sie einen Dialog mit dem Bruder: »Erinnerst du dich noch, wie wir auf der rosa Gartenbank saßen?« »Ich werde jene rosa Gartenbank nie vergessen. Sie ist die einzige Gartenbank für mich. Wo ist sie jetzt? Glaubst du, daß man uns im Himmel erlauben wird, darauf zu sitzen?«

»Wir waren fa~t wie ein Kind«, schreibt Katherine Mansfield weiter. »Ich sehe uns immer vereint umhergehen, vereint die Dinge betrachten, mit den gleichen Augen, diskutieren...« Katherines Bruder, ihr zärtlich geliebter »Chummie«, kommt im Oktober 1915 ums Leben, als bei einer Handgranaten-Demonstration eine Granate vorzeitig explodiert. Von einem Freund erfährt sie, daß er in seinen letzten Minuten immer wieder nach ihr gerufen hat: »Halt mir den Kopf hoch, ich bekomme keine Luft!«

Katherine Mansfield, sie ist jetzt 27 Jahre alt, ist vom Tod des Bruders so tief getroffen wie noch nie von einem Ereignis in ihrem Leben. »Erfahrungen machen« wollte sie, tat sie auch, aber jetzt ist ihr eine Erfahrung zugestoßen, die ihr ihr bisheriges Leben oberflächlich erscheinen läßt. Wer in ihren Tagebucheintragungen Anfang 1916 blättert, findet solche Sätze: »Die Handlungen meiner früheren Geschichten lassen mich völlig kalt. Jetzt - jetzt möchte ich Erinnerungen an mein eigenes Land schreiben. Ja, ich will über mein Heimatland schreiben, bis mein Vorrat erschöpft ist. Ich will alles sagen, sogar, wie in Haus Nr.75 der Wäschekorb quietschte...« Für ihren Bruder möchte sie ihre und Chummies Jugend in Neuseeland heraufbeschwören, »weil ich in Gedanken all die vertrauten Orte mit ihm durchstreife«.

Ihr werden nur noch sieben Jahre Zeit bleiben, dieses Ziel zu verwirklichen. Aber sie wird von nun an unbeirrbar und unaufhaltsam darauffim arbeiten.

»Es ist so seltsam«, schreibt sie 1921 an die mit ihr befreundete englische Malerin Dorothy Brett, »die Toten ins Leben zurückzurufen. Da ist meine Großmutter in ihrem Lehnstuhl mit dem rosa Strickzeug, da schreitet mein Onkel über den Rasen, und während ich schreibe, habe ich das Gefühl: >Ihr seid nicht tot, meine Lieben. Ich erinnere mich an alles. Ich verneige mich vor euch. Ich trete in den Hintergrund, so daß ihr durch mich in eurem Glanz und eurer Schönheit zu neuem Leben erstehen könnt.<«

Wenn sie schreibt, so schildert sie es selbst, verwandelt sie sich in die Menschen, die in ihren Erzählungen auftreten: »Man ist eine Zeitlang das Schauspiel. Bliebe man die ganze Zeit man selbst, wie einige Schriftsteller es zu tun vermögen, wäre es etwas weniger erschöpfend. Es ist eine Sache blitzschneller Veränderung.«

Nicht nur Menschen, auch Dinge erweckt Katherine Mansfield schreibend zu einem neuen Leben. Ihrer Freundin Dorothy Brett schildert sie den Zustand, in den sie dabei gerät, 1917 so: »Wenn du Äpfel malst, fühlst du dann auch deine Brüste und Knie zu Äpfeln werden? Oder hältst du das für den größten Unsinn? Ich nicht. Ich bin sicher, daß es kein Unsinn ist. Wenn ich über Enten schreibe, das schwöre ich dir, bin ich eine rundäugige weiße Ente, die auf dem von gelben Blumen umsäumten Teich schwimmt und sich gelegentlich auf die andere rundäugige Ente stürzt, die kopf-abwärts unter mir schwimmt.«

Mit jener Ausschließlichkeit, die schon als junges Mädchen typisch für sie war, handelt sie bis zu ihrem Tod nach diesem Grund-Satz: »Ich lebe, um zu schreiben.« Es gibt nur ein Ziel für sie: ihre Kunst mehr und mehr zu vervollkommnen. Katherine Mansfield bettelt geradezu um Zeit, bettelt in ihren Briefen und Tagebüchern um Zeit, ihr Lebensziel zu verwirklichen. Sie muß geahnt haben, wie wenige Jahre ihr zugemessen waren. Denn sie ist krank geworden. Nach zwei Lungenentzündungen erleidet sie mit dreißig Jahren einen Blutsturz. Sie hat Angst. Sie hat Schmerzen. Sie fiebert. Und schreibt weiter.

Es sind unruhige Jahre, wie schon seit langem: unruhige Jahre für Katherine Mansfield, in denen ihre berühmten Erzählungen entstehen, die heute zu den Klassikern in der englischen Literatur zählen. In ihrer Zeit erschafft sie einen völlig neuen Stil.

Eine schmale dunkelhaarige Frau mit hungrigen Augen - so sieht Katherine Mansfield auf Fotos aus, die sie in den letzten fünf Jahren ihres Lebens zeigen. Sie hat inzwischen geheiratet, lebt seit 1918 in einer Ehe mit John Middleton Murry und lebt doch nicht mit ihm, weil sie wegen ihres Gesundheitszustandes immer wieder »verschickt« wird. Nach Südfrankreich. In die Schweiz. Überwintern im Süden, in Hotels, in »Fremdenzimmern«, Sehnsucht nach einem geborgenen Zuhause: »Hätte ich doch ein Heim und könnte ich die Vorhänge zuziehen...« Vielleicht ist Katherine Mansfield ohnehin nicht. der Typ für ein still-umsorgtes Daheim? Aber sie träumt davon. »Ich sehne mich nach Freunden und Menschen und einem Haus«, schreibt sie an ihren Mann. Und weiter: »Warum habe ich kein richtiges >Heim<?« Und, auch an ihren Mann, während sie in Südfrankreich »auskuriert« werden soll: »Wenn ich erst Zu Hause bin und wir zusammenleben, wirst Du vielleicht nicht so niedergeschlagen sein. Ich werde dasein, und abends werden wir am Tisch mit der Lampe zwischen uns sitzen und arbeiten, und dann werden wir etwas Heißes zu trinken machen und ein wenig miteinander plaudern und rauchen und kleine Pläne machen. Weißt Du, wir werden uns völlig ändern. Wir werden einfach ineinander aufgehen.«

Traumvorstellungen. Murry und Mansfield gehen nicht »ineinander auf«. Zwar besucht er sie hin und wieder, aber meistens lebt sie allein. Zwischendurch, wenn es Katherine gesundheitlich etwas besser geht, wohnen sie auch in England zusammen. Aber er wendet sich ab, wenn sie hustet, und natürlich registriert sie das. Im Grunde ist es ihm lästig, eine schwierige, kränkelnde Frau zu haben. Es geht ihm in erster Linie darum, seine eigene Karriere als Kritiker und Biograph entwickeln und pflegen zu können. Zeitgenossen - wie Virginia Woolf - haben ihn als »sehr egoistisch« erlebt. Katherine Mansfield aber hat in seitenlangen Briefen immer wieder um seine Zuneigung geworben.

Ein Mensch hält unverbrüchlich zu ihr: Ida Baker, die »L. M.«, die schon als Jugendliche versprochen hat, sie werde der Freundin dienen. Eine merkwürdige Freundschaft besteht zwischen den beiden Frauen... Ida ist selbstlos, opfert sich auf. Aber: »Sie ist auch nur zufrieden, wenn sie mich verschlingen kann«, schreibt Katherine an ihren Mann.

Katherine härte ohne die Hilfe der Freundin viele Situationen in ihrem Leben nicht meistern können. Das wußte sie. Aber genau das machte sie auch zornig - dieses Gefühl, abhängig zu sein. Da ist noch eine Freund-Feindschaft, die sich durch Katherine Mansfields kurzes Leben zieht. Sie trifft im Herbst 1916 zum erstenmal die englische Schriftstellerin Virginia Woolf. Beide hatten bis dahin keine Frau gekannt, die ihr Leben ganz dem Schreiben widmete. Beide verfolgten sehr ähnliche Ziele, fühlten sich voneinander angezogen - und zugleich sehr distanziert. In ihrem Tagebuch notiert Virginia Woolf: »Wir (damit meint sie ihren Mann Leonard Woolf und sich) konnten uns beide nur wünschen, unser erster Eindruck von M. möge nicht der sein, sie stinke wie eine - nun, wie eine Zibetkatze, die sich aufs Herumstreunen verlegt hat. Die Wahrheit zu sagen, ich bin ein bißchen schockiert, wie ordinär sie auf den ersten Blick wirkt; Züge, so hart und so billig. Aber wenn sich das abschwächt, ist sie so intelligent und unergründlich, daß es die Freundschaft lohnt...« An einer anderen Stelle heißt es in Virginia Woolfs Tagebuch: »Sie ist wie eine Katze: fremdartig, träge, immer einsam, auf der Hut. Sie macht den sonderbaren Eindruck eines Menschen, der, völlig ichbezogen, für sich lebt; ganz auf ihre Kunst konzentriert; beinah fanatisch das mir gegenüber herausstreichend.«

Fanatisch. Katzenhaft. Unergründlich. Virginia Woolf (die im übrigen durchaus nicht ohne Konkurrenzgefühle ihrer Dichterkollegin gegenüber war) trifft mit diesen Vokabeln wesentliche Eigenschaften der Katherine Mansfield. Aber sie läßt dabei außer acht (oder weiß sie es nicht?), wie krank Katherine Mansfield ist: todkrank und darum überwach. Katherine Mansfield stirbt mit 34 Jahren in einem »Institut zur harmonischen Entwicklung des Menschen«, das der Kaukasier Gurdjieff in Fontainebleau bei Paris eröffnet hat.

Sie war in den letzten Wochen ihres Lebens besessen von der Idee, in diesem Institut könne sie Heilung finden. »Ich beabsichtige, meine ganze Lebensweise total zu ändern«, schrieb sie ein Vierteljahr vor ihrem Tod an einen Freund. »Ich beabsichtige, auf jede mögliche Art mit meinen Händen zu arbeiten, Tiere zu versorgen und alle Arten manueller Arbeit zu tun.«

Sie wollte »aussteigen«, so würden wir im heutigen Sprachgebrauch sagen. Aber sie war krank, körperlich so krank, daß sie nach kurzem Aufenthalt in Fontainebleau an einem Blutsturz starb.

John Middleton Murry, ihr Ehemann, gab posthum eine große Anzahl ihrer Erzählungen, ihre Tagebuchnotizen und ihre Briefe heraus. Und bekam dafür - dies ist ein Zitat von ihm - »einen Scheck, der zehnmal so groß ist als jeder Scheck, den Katherine je erhalten hat. Es kam mir zwar wie Ironie vor - dann, auf meine abergläubische Art, fand ich, daß Katherines Segen auf unserer Ehe und dem Haus am Meer ruhte.«

Mit »Katherines Segen« nämlich erstand er ein Haus am Meer und später eine Farm. Er heiratete noch dreimal, bis er die »richtige« fand, eine ruhige, unkomplizierte Frau. Und dabei vergaß er nicht, Katherine den Titel einzuräumen, der ihr seiner Meinung nach gebührte: Auf ihrem Grabstein ließ er unter ihren Namen einmeißeln: »Frau des John Middleton Murry«!


_______________________________________________


copyright 1997 by Norgard Kohlhagen

Vervielfältigung und Nachdruck, auch auszugsweise oder in abgeänderter Form, bedürfen der Genehmigung der Autorin:
www.Kohlhagen.de

Diese und andere Kurzbiographien von Schriftstellerinnen sind auch als Buch erhältlich:
www.Dichterinnen.de/Buch

Kohlhagen - Kohlhagen